Analyse und Problemlösungsprozess anhand des Führungsprozesses der Schweizer Armee

«Alle Wege führen nach Rom»
besagt ein Sprichwort, dessen Ursprung nicht bekannt ist.
So gibt es auch diverse Herangehensweisen, ein Problem zu analysieren und zu lösen.
Ein möglicher, von mir gerne genutzter Weg ist vom «Prozess der Führungstätigkeiten» der Schweizer Armee abgeleitet. Der im Reglement 51.20d «Taktischen Führung XXI» definierte Prozess sieht wie folgt aus:
Schweizer Armee - Prozess der Fhrungsttigkeitenpng
Zuerst einmal erscheinen viele Begriffe fremd. Auch sind Wörter wie «Befehlsgebung» in einem modernen Unternehmen nicht im Vokabular. Wird der Prozess jedoch mit Ergänzungen beschrieben, so ergibt sich alsbald ein Verständnis für die Privatwirtschaft.

Im ersten Prozessschritt «Problemerfassung» wird das Problem systematisch in Teilprobleme heruntergebrochen. Dies macht die Bewältigung und die nachfolgende Ausarbeitung der Varianten deutlich einfacher. Ein «Zeitplan» lässt sich nun besser und genauer festlegen. Militärisch meistens in der Rückwärtsplanung, da ein Termin vorgegeben wurde. Im zivilen Umfeld je nach Problem auch in der Vorwärtsplanung, da kein Termin definiert ist. Zudem wird dank Zerlegung in Teilproblemen schnell sichtbar, wo mit «Sofortmassnahmen» sich z. B. Zeit erkauft werden kann.

Diese Sofortmassnahmen dürfen jedoch keinesfalls die Entscheidungsfreiheit in den nachfolgenden Prozessschritten einschränken oder beschneiden. Eine mögliche Sofortmassnahme kann etwa die Vor-Reservation von stark ausgelasteten Analysegeräte in einem externen Labor sein. Nicht in Ordnung wäre eine Vorinformation des Stakeholders mit der Aussicht auf eine schnelle und kostengünstige Lösung. Kostengünstig und schnell schränken bereits ein, auch wenn dies löbliche Ziele wären.

Bei der «Beurteilung der Lage» wird nichts anderes als eine IST-Analyse durchgeführt. Militärisch werden hier gegnerische und eigene Mittel, die Zeitverhältnisse, die Umwelt und der Auftrag in die Analyse einbezogen. Umgeschrieben auf die Verhältnisse in der Privatwirtschaft sieht das in etwa so aus:
  • eigene Mittel ≙ Ressourcenverfügbarkeit
  • gegnerische Mittel ≙ mögliche Risiken und externe Einflüsse, Stichworte: Medien, Normen, Gesetze, Shitstorm etc.
  • Umwelt ≙ Stakeholdermanagement
  • Zeitverhältnisse ≙ verfügbare Zeit
  • Auftrag ≙ was wird genau erwartet? Wo ist Klärungsbedarf?
In der «Entschlussfassung» erarbeitet der Kommandant diverse, echte Varianten und bewertet diese nach militärischen Punkten. Dann trifft er den Entschluss, mit welcher Variante er das Problem lösen will. Grundsätzlich erfolgt dies in der Privatwirtschaft genau gleich. Es werden Varianten ausgearbeitet und bewertet. Zum Schluss wird eine Variante als Favorit den Stakeholdern zur Genehmigung vorgestellt. Wichtig ist hier, dass klar ist, wie und warum die Variante vorgeschlagen wurde. Denn für die nachfolgenden Tätigkeiten ist dieser Entscheid wegweisend, und davon wird nur in Ausnahmefällen abgewichen:
  • das Ziel kann nicht oder nur mit Mitteln ausserhalb des Budgets erreicht werden.
  • ein starres Festhalten die Problemlösung gefährden würde.
  • sich die Gelegenheit bietet, den Auftrag auf eine andere, bessere Weise oder mit geringerem Aufwand zu erfüllen.
In der «Planentwicklung» ist es nun an der Zeit, ins Detail zu gehen und den Projektplan zu vervollständigen. Jetzt müssen alle Synapsen im Hirn aktiviert werden, um an alles zu denken. Es gilt jetzt auch, die Risiken zu ermitteln und diese zu mindern. Nur wer die Risiken im Griff und vorher mögliche Gegenmassnahmen überlegt hat, kann im Eintrittsfall schnell reagieren. Ein Kommandant macht genau das Gleiche. Mit der Eventualplanung werden mögliche Szenarien vorher überlegt und befohlen. Bei einem Ereignis kann der Verband schnell reagieren. Genau gleich wie das Projektteam.

Die Auftragsvergabe erfolgt dann im Schritt «Befehlsgebung». Aufträge an Lieferanten, Dienstleister oder interne Stellen beispielsweise. Und dies ohne drei Spaghetti auf der Schulter.

Der auf die Bedürfnisse der Privatwirtschaft adaptierte Prozess könnte also wie folgt aussehen:

Prozess der Fhrungsttigkeiten nach Rethink Interimpng
Die «Führung der Aktion» wird hier nicht näher beleuchtet. Die Umsetzung des Plans erfolgt anhand des Entscheids und der Detailplanung. Falls Hindernisse und Hürden auftreten, die eine Neubeurteilung erfordern, muss eine Folgeplanung erfolgen.

Die Gefahr ist jeweils nicht der verwendete Prozess, sondern dass dieser abgekürzt wird. Menschen tendieren schnell, eine potenzielle Lösung zu sehen und diese umzusetzen. Falsche Sofortmassnahmen sorgen zusätzlich dafür, dass Varianten zum voraus ausgeschlossen werden. Eine systematische Erfassung und Herunterbrechen des Problems in logische Teilprobleme erhöht die Chance auf Erfolg.

Wie sieht Ihr Problemlösungsprozess aus? Lösen Sie Aufgaben in ähnlichen Schritten oder ganz anders. Ich bin gespannt, wie Ihre optimale Lösung aussieht und freue mich auf Kommentare.

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Wichtiger Hinweis: Ich bin noch ein Offizier aus der Armeereform 95 und XXI und kenne daher nur die Abläufe aus dieser Zeit. Mittlerweile gibt es ein neues TF, das Reglement 50.030 «Taktische Führung 17» und ggf. hat sich der Prozess geändert.